Predigt vom Neppendorfer Treffen 2016

Liebe Besucher unserer Homepage,
Hier möchten wir Euch die Predigt von Theologin Angelika Beer aus der Klosterkirche Denkendorf zur Verfügung stellen. (Unten an auch zum Download)

Predigt von Angelika Beer am 8. Oktober 2016 zum Neppendorfer Treffen in Denkendorf (bei Stuttgart) über 1. Thessalonicher 4, 1–8

Liebe Schwestern und Brüder, liabi Neppenderfer,

wer in Neppendorf in der Kirche in der Ausstellung zu den Landlern die Treppe hochgeht, sieht dort einen Wandbehang mit einem gestickten Spruch:

„Des Morgens denk an deinen Gott,
des Mittags iss vergnügt dein Brot.
Des Abends denk an deinen Tod.
Des Nachts verschlafe deine Not.“

Ein Rhythmus für das Leben, ein Rezept für jeden Tag, das jahrein, jahraus in einer Stube hing, über einem Diwan oder über einem Bett. Und vermutlich in einer Neppendorfer Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Als ich im Sommer vor diesem Spruch stand, hat er mich sehr beeindruckt, weil er in seiner Schlichtheit und Klarheit so vieles zurechtrückt und einen gesunden Rhythmus für das eigene Leben empfiehlt, der nicht nur von Leistung bringen müssen und von Kämpfen getrieben ist.

„Des Morgens denk an deinen Gott,
des Mittags iss vergnügt dein Brot.
Des Abends denk an deinen Tod.
Des Nachts verschlafe deine Not.“

Der Predigttext für heute, in dem es auch darum geht, woran man das Leben ausrichtet, ist der für den morgigen Sonntag und steht im 1. Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki, im vierten Kapitel:
Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus – da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut –, dass ihr darin immer vollkommener werdet. Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt. (1. Thessalonicher 4, 1-8)
Übungen für das Diesseits. Für einen Lebensstil, der sich an etwas ausrichtet: „Denn das ist Gottes Wille: eure Heiligung“.
Liebe Neppendorferinnen und Neppendorfer, schaut euch bitte einmal um. Wer sitzt neben euch, vor euch, hinter euch? Schaut euch an, was seht ihr? Paulus würde sagen: Ihr seht Heilige. Als ob jeder und jede ein bisschen Goldstaub im Gesicht hätte. Und schon lachen einige, das ist gut so. Ihr seid Heilige. Und Gold ist die Farbe des Heiligen. In Kirchen ist bei Gemälden oft ein goldener Hintergrund zu sehen. Ihr seid also heilige, geheiligte Personen.
Paulus will mit seinen Worten nämlich weder den Moralapostel spielen noch sich als Besserwisser aufblasen. Vielmehr erinnert er die Menschen, die versuchen als Christinnen und Christen aus der Kraft Gottes zu leben an das, was wichtig ist im Leben und was ihnen eine Ausrichtung geben kann: „Gott hat uns berufen zu einem Leben in Heiligung“.
An zwei Sachen, die elementar sind für das Leben, macht Paulus das deutlich: Sexualität und Geld. Seid nicht gierig, sondern aufmerksam. Nutzt den anderen nicht aus, seht ihn nicht als Mittel zum Zweck für eure eigenen Interessen, sondern seht einander in all dem Wert, den ihr nicht nur habt, sondern der ihr seid. Denn damit ehrt ihr Gott. Als von Gott geschaffene und geheiligte Menschen.
Der ehemalige anglikanische Bischof von Südafrika Desmond Tutu, der gestern 85 Jahre alt geworden ist, hat einmal die gute Frage gestellt: „Wann werden wir endlich begreifen, dass Menschen von unendlichem Wert sind, weil sie nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, und dass es eine Gotteslästerung ist, sie als etwas Geringeres zu behandeln?“ Desmond Tutu selbst hat unter der Apartheid leiden müssen und darüber weder seinen Humor noch seinen Glauben verloren. „Wann werden wir endlich begreifen, dass Menschen von unendlichem Wert sind?“
Heute bietet sich eine gute Gelegenheit, das zu üben. Nachher auf dem Weg zum Festsaal, beim Essen, beim Tanzen, bei den Gesprächen, die sich ergeben und bei denen, die man sucht. Seht den Goldstaub im Gesicht des Anderen, seid aufmerksam, nicht gierig.
Denn auch das ist wahr: Solche Treffen haben ihre Tücken. Die Neugierde ist groß, schnell ist man beim Vergleichen: meine Kinder, mein Haus, mein Auto. Und genauso schnell kann solch ein Vergleichen schmerzen. Wo sind deine Kinder, dein Haus, dein Auto? Wer nicht mithalten kann, gehört nicht dazu. Vielleicht ist sogar die Eine oder der Andere heute erst gar nicht hierhergekommen, weil es im Reigen des Vergleichens nicht viel Glorreiches zu erzählen gibt und man sich schämt. In all dem Elend, das einen manchmal umgibt, in all der Einsamkeit und in all den Sorgen sind und bleiben wir Gottes Geschöpfe von unschätzbarem Wert. Und all das Elend müssen wir nicht verschweigen, wir können es vor Gott bringen, ihm klagen, ihn fragen. Und weitergehen:

„Des Morgens denk an deinen Gott,
des Mittags iss vergnügt dein Brot.
Des Abends denk an deinen Tod.
Des Nachts verschlafe deine Not.“

Esst nachher, morgen und an jedem Tag eures Lebens vergnügt euer Brot, denkt daran, dass eure Zeit begrenzt und daher kostbar ist. Und vergesst nicht Gott, vergesst nicht, dass es größere Zusammenhänge gibt als ihr denkt. Und verliert euch doch nicht in der Religion, schaut nicht zu sehr auf das Jenseits, sondern lebt im Diesseits. Hier und heute mit all den Rissen und Brüchen, die zu euch gehören. Mit Siebenbürgen im Herzen und dem Leben hier in Deutschland. Denn wir sind miteinander verbunden und in den Begegnungen nachher kann davon etwas aufleuchten, in den Gesichtern und im Leben.
So, wie in einem Lied von Leonhard Cohen:

„Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack in everything
That's how the light gets in.”

Läute die Glocken, die noch läuten können, 
lege das perfekte Präsentieren beiseite.
Da ist ein Riss in allem drin,
und durch ihn scheint das Licht hinein.

Durch die Risse und Brüche scheint das Goldene, das Heilige durch, auch durch Dich.
Oder wie Paulus an einer anderen Stelle schreibt: „Und Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.“ (2. Korinther 4, 6-10)
So lasst uns dieses Leben und alles Lebendige heute feiern, als Geheiligte, mit Goldstaub auf dem Gesicht.
Amen.

Ganze Predikt als PDF

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